Autofictional Shorts Im Dunkeln zu Hause

#25 Grubenlampenlicht

17. März 2021


 #25 Grubenlampenlicht

— 1979

Es ist dunkel in dem Licht hier unten. Trübes Unterwasser–, nein nicht unter Wasser,  Unterstaublicht. Licht so abgestanden, wie die matte Luft in meinem Blickfeld. Grubenlampenlicht. An meinem Helm. Sticht einen hellen Kegel in die Dunkelheit.
Dorthin, genau dorthin, wohin ich mich auch drehe, scheint das Licht. Und da ist es dann wirklich hell, wird etwas sichtbar.
Die schlagende Spitze des Abbauhammers, mein Handschuh, die Keilhaue, der Krätzer, die Schaufel, das Rollenlager über mir, die rostigen Baue auf der Seite, meine Hand mit Schnupftabak, Zeit für eine Prise. Ein ständiger Fokus-, ein ständiger Bedeutungswechsel, sobald ich den Kopf drehe, wird es, wo es jetzt noch hell ist, wieder dunkel. Verschwindet in die Dunkelheit, die Peripherie des trüben Staubs, ins Dunkelfunzellicht. Ins Nichts. Wenn ich nicht gucke, ist da nichts. Wenn wir uns hier nicht in die Erde wühlen, wir nicht diese Gänge graben, wenn wir hier kein Licht machen, ist es hier dunkel. Dunkel, nein nicht dunkel, es ist gar nichts. Ist es in einem Stein dunkel, in einem Marmorblock, ist es darin dunkel? Keine Ahnung. Aber unter uns der Kern, der glüht, ist flüssig, brennt und kocht, da ist es hell. Glaube ich und stelle es mir vor. Stelle es mir vor?

Hier unter dem Band im Berg allein, Hüseyin fünfzig Meter unter mir, sehe ich, wenn ich mich zur Seite rolle, das Licht von seiner Grubenlampe, klein, weit weg, wie es sich bewegt mit ihm und jetzt nicht mehr, er hat sich wohl umgedreht. Da, noch ein zweites Licht, steigt etwas weiter unten durch den Querschlag in den Berg. Wird wohl der Steiger sein, leuchtet hier hoch. Dreht sich dann weg und steigt herab zu Hüseyin. Zwei Lichter, die sich unterhalten.

Graben wir uns hier nur in die Erde, Steiger, um hier ein wenig Licht zu machen? Um ihr zu zeigen, wie es in ihr aussieht. Ah, der Steiger ist wohl längst schon wieder weg. Wird ihn auch nicht interessieren. Es flackert einsam nur noch ein kleines Licht da unten vor sich hin. Wo leuchtet es denn hin?

Was machen wir denn hier? Ist es denn wirklich nur die Gier oder nicht auch Neugier, wie bei mir? Ein riesengroßes Zwergenheer sind wir, mit Lichtern auf der Stirn, hacken, schneiden, sprengen uns in kleinen Tunneln in die Erde, wühlen uns hindurch bis zur Kohle, bis zum Flöz. Angeblich, um dann oben damit Licht zu machen in der Nacht, zu heizen in der kalten Jahreszeit, Stahl zu schmelzen, Schienen zu verlegen, Eisenbahnen, Panzer, Schlachtschiffe und Stahlgewitter loszulassen?

Seit Generationen liege ich mit meinen Genen hier im Berg. Der Presslufthammer rattert vor dem Stein. Meine Arme vibrieren, meine Hände, alles. Noch im Schlaf. Der Kompressor zischt. Doch in mir ist es ruhig und über mir rauscht Kohle hoch. Ein Urwald, noch vor der Zeit der Kontinente, gepresst zu grenzenlosen Kohleflözen. Ein Vorzeitwald jetzt losgeschlagen. Wieder ans Licht gebracht in kleinen Stücken. Faustgroß, kopfgroß. Tanzt mit mir, mir entgegen, wenn ich, (Unfälle sind kein Zufall) auf das Förderband springe, — hechten kann ich jetzt schon lange — und wasse fahrn kanns … fahre ich zum Füllort. Ich liege gut, in der Kohle, zwischen Kohle, auf der Kohle. Kein Problem, außer … ein Stück fängt zu hopsen an. Wie jetzt. Jetzt? Zufällig angestoßen hopst es, bleibt liegen, hopst wieder, beginnt zu rollen, zu kugeln, zu kullern. Dreht sich. Immer schneller. Rollt auf mich zu. Nein, nicht auf mich zu. Der Brocken, springt, auf der Stelle, immer wieder von den gleichen Rollen hochgetitscht, tanzt er seinen wilden Tanz im Spotlight meiner Grubenlampe. Ich bin es, der ihm entgegen rast hier auf dem Band. Was jetzt? Auf die Knie, Hände nach vorn, das Ding vom Band fausten? Fausten? Bin ich Torwart? Abspringen, hier? Arme vors Gesicht, Kopf runter. Zeitluuuupeee. Eiiiin uuuuralter, dreiiiihuuuuundertfünnnnnfzig Milliooooonen Jaaaaahre alllllter Waaaald zusammengepresst zu einem schwarzen Brocken Kohle in der Größe eines Fussballs fliegt mir an den Helm.

Wir sitzen auf dem Segelboot, nur noch ein leichter Abendwind, fast Flaute, die Sonne steht schon tief, wir grölen Hot Love. She’s my woman of gold, and she’s not very old, a ha ha. Um überhaupt etwas Fahrt zu laufen, sitzen wir uns gegenüber und halten die Jolle schön waagerecht im Wasser. Micha an der Pinne, ich vor dem Schwertkasten. Lalal laa laa lalalalaa, lalal laa laa lalalalaa, lalal laa laa lalalalaa, uuuhuhuhuu. Eine leichte Brise. Und ein Glitzerstreifen kräuselt direkt auf unser Boot zu. Trifft die Bootswand an der Stelle, wo ich hocke. Kommt von der Sonne genau auf mich zu. So ein Zufall. Und wandert sogar mit, während wir langsam durchs Wasser gleiten. Micha? Ja, seh ich, ich hab einen eigenen Glitzerstreifen, der kommt genau auf mich zu. Nur für mich. Wenn ich nicht dahin schaue, ist da kein Glitzerstreifen. Jeder hat seinen eigenen Glitzerstreifen. Die Welt ist so verschieden, ich werde nie deinen Glitzerstreifen sehen. Und den hier auch nie wieder. Die Glitzerstreifen brauchen uns. Die Sonne kann sich doch nicht selber sehen. Nur wenn jemand schaut kann es dort glitzern auf dem Wasser.
Der Wind wird stärker, jetzt spritzt mir sogar Wasser ins Gesicht. Das Licht ist wieder da. Grelles Licht.
Hüseyin steht über mir. Ich mach die Augen wieder zu.
Schön datte wiedda da bis.
Mir ist schlecht.
Nix ›is mir schlecht‹, Izmir schön. Und weisse wat noch schön is, die Blümechen da, meine Tochter, und meine Frau, die sind schön. Guck hier hab ich ein Foto. Guck.
Er hat wirklich ein Foto mit. Hier unten. Es ist leicht verknittert und glänzt, ich kann kaum was erkennen. Ich klemme die Lampe vom Helm ab. Halte sie schräg, damit es nicht so spiegelt. Aber ich muss auch nichts erkennen, um zu sehen, was Hüseyin meint. Sie ist bestimmt schön, seine Frau mit dem Kopftuch, wie sie in die Kamera lacht, mit dem kleinen Kind auf dem Arm, das in den Himmel schaut.

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