Autofictional Shorts

#11 No Future?

11. August 2020
Uwe Carow No future

Künstler ohne Werk ist ein autofiktionales Work in Progress, aus dem ich an jedem zweiten Mittwoch hier Ausschnitte veröffentliche.

Viele dieser Shorts stehen in Zusammenhang mit meiner künstlerischen Arbeit, die zu der Zeit entstanden ist, von der der jeweilige Text handelt.


 #11 No Future?

— 1984

Boah, so leicht werden die schwanger.

Ich steige, hangele wieder die Leiter hoch. Sie haben wirklich versucht, es zu verhindern. Marie wollte definitiv nicht noch einmal schwanger werden. Deswegen hat sich Joseph sterilisieren lassen.

Großes Thema in der Männergruppe – ja sowas gab’s. Fünf, sechs »Männer«, die sich vorgenommen hatten, sich mehr zu öffnen, mehr miteinander zu reden. Über Gefühle, über Ängste whatever. Nicht immer den Starken raushängen lassen. Und klar, es geht nicht, den Frauen die Verantwortung zu überlassen. Verantwortung für die Verhütung. Also Frauenbefreiung durch Sterilisation? Joseph ist nicht der Einzige. Auch Martin und Rudolf haben sich unters Messer gelegt. Nicht nur verhütet, sondern gleich, Ende, Aus, Alles sich gegen Kinder entschieden. Wieso auch nicht. Sind wir nicht No Future? Wieso lasse ich mich nicht sterilisieren? Weil ich Angst vor dem Eingriff habe? Weil mir das Konzept nie eingeleuchtet hat?
— Weil ich Kinder will.
— Im Ernst?
— Lebe ich so, als wollte ich Kinder?
— Future?

Aber jetzt, was haben Marie und Joseph, was haben ihre Körper da gemacht?
Marie hat schon ein Kind von einem Typen und wollte auf keinen Fall noch eins. Und jetzt ist sie schwanger von Joseph. Sind die beiden eigentlich gut zusammen? Haben ihre Körper richtig entschieden.

Hatte ich mir nicht gerade zurechtgelegt, dass es eine Weisheit des Körpers gibt, die Dinge weiß, Dinge regelt, die wir nicht verstehen? Was war das dann sonst mit mir und Anne? Das ist meine Erklärung für die ganze Sache. Die Erklärung, mit der ich das einigermaßen heil überwunden habe. Joseph hatte das mitbekommen. Er ist ja dabei, als ich das Thema vorsichtig in der Männergruppe anspreche. Joseph ist der Einzige, bei dem ich nicht das Gefühl habe, einen Hauch von Genugtuung zu spüren, dass es bei mir auch mal nicht einfach so glatt läuft.

Anne

Im besetzten Haus nähern Anne und ich uns über verschiedene Aktionen an. Sie ist eine der Powerfrauen im Haus. Hat einen schwarzen Gürtel (Karate), ist politisch aktiv (vor allem für Lateinamerika), ist feministisch, intelligent, steht in der Verhandlungsfraktion auf der richtigen Seite, (nämlich bei den Nichtverhandlern) und ich finde, sie sieht toll aus. Sie bringt mich dazu, etwas aus meiner schwarzen Sturmhaubenlederjackenecke zu kommen.
Sie nimmt mich mit zum Lager eines Textilgroßhändlers. Wir organisieren meterweise farbige Stoffreste. Reissen sie in Streifen, schneiden Rechtecke, Kreise und Dreiecke, und nähen alles auf irgendeiner Nähmaschine im Haus zusammen. Keine schwarzen Fahnen mehr, nichtmal mehr mit rotem Stern. Die ganze Straße hat einen anderen Flair, wo die bunten Fahnen von allen Balkonen und Fenstern wehen. Und es gefällt mir.
Eines Abends als wir von irgendwoher nach Hause kommen, gehe ich nicht gleich zum Hinterhaus, in dem meine Zimmer sind. Ich gebe vor, noch in die Gemeinschaftsküche zu wollen und steige die Treppe im Vorderhaus hoch. Und wirklich, Rückenmarksgänsehaut, sie kommt noch einmal aus ihrem Zimmer im Erdgeschoss heraus, ruft mir auf der Treppe hinterher. Ob ich nicht zu ihr kommen und bei ihr übernachten will. Gut, das ist bei Besetzern nicht so ganz ungewöhnlich, für mich aber schon. Wir wissen beide, dass es Ernst ist.
Das ist die erste Nacht mit ihr. Und die erste, in der ich, obwohl alles toll war, keinen hochbekomme. Oder es vielmehr, als es wirklich Ernst wird, schnell wieder verliere. Naja, kann ja mal passieren. Etwas verstört bin ich schon. Anne auch. Was soll ich sagen, dass geht wochenlang so. Es ist immer alles großartig, bis wir im Bett, in der Badewanne oder wo auch immer sind. Nichts. Alle halten uns für das Traumpaar. Die beiden Alphas sind zusammen. Großartig. Innen sieht es nur leider anders aus. Trotz unendlicher Geduld und vielen Versuchen ist bei mir einfach nichts zu machen. Wir verreisen, wollen uns Zeit lassen. Kein Druck. Aber es geht nicht. Nicht ein einziges Mal. Die Erwartung und vor allem die negative Erwartung ist immer vor uns im Bett. Ich kann mich einfach nicht fallen lassen, nicht entspannen.
Das hält dann irgendwann die Beziehung nicht aus. Oder vielleicht halte auch nur ich den seltsamen Druck und die Angst vor dem Versagen einfach nicht mehr aus. Wir trennen uns. Im Guten, bleiben Freunde. Noch lange.

Auch noch, als Anne kurz nach unserer Trennung aus Spanien zurückkommt – schwanger. Es war wohl ein sehr netter, kluger und gut aussehender Spanier — der nicht die Probleme hatte wie ich — und sie wird gleich schwanger, oder lässt sich vielmehr schwängern.
Sie ist sehr glücklich. Natürlich wird er in Spanien bleiben. Natürlich wird sie keine Beziehung mit ihm wollen.
Sie wollte ein Kind – und sie wollte es — sie artikuliert das ganz ruhig und sehr sicher – ohne Mann. Whaaat? Warum hat sie mit das nie gesagt, warum haben wir nie darüber gesprochen, warum wusste ich davon nichts — und warum wusste mein Körper, meine Hormone, meine Psyche oder was auch immer das so genau?

Sie wollte unbedingt schwanger werden, ohne Mann. Ich habe es nicht gehört, mein Körper schon. Danke.

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