Auf der anderen Seite - Traumtexte

#2 Das Hotel

28. Juli 2021

Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen.
(Heiner Müller)

Intro und Textverzeichnis


 #2 Das Hotel

Es ist schon wieder Winter hier mitten im Sommer in dieser sternenklaren Nacht. Und das Hotel steht so traumhaft in dem flutlichtgelben Schnee wie beim letzten Mal. Einsam und ein wenig eingeschneit. Overlook? Nein, nein, das ist nicht Kanada und auch nicht Oregeon. Nicht mal ein Film. Das ist die echte Schweiz, vielleicht in Celerina. Auf dem umlaufenden Balkon atme ich mit Kopfhörern auf den Ohren die frische Schneeluft. In Bagdad schlagen lasergelenkte Bomben äußerst präzise in einem Luftschutzbunker ein. Ein Kriegsversehen. Das erfahre ich erst später und sehe tief hinunter auf die nächtlich angestralte Fläche aus glatt gewalztem Schnee, der teilweise zu spiegelgrauem Eis getreten ist durch die vielen Menschenfüße, die in dieser Nacht verschwunden sind. Wohin? Nicht ins Hotel, ich denke hier bin ich allein. Wo sind all die anderen?

Ich will mich auf die Suche machen. Doch wo? Hier gibt es keinen Ausgang. Einfach runterspringen in die Schneewehe von hier oben?
Ich lass mich fallen, rutsche mit dem weichen Pulverschnee als Lawine durch einen engen Lüftungsschacht ins Souterain und lande vor dem großen Tisch in einer Küche aus der Kindheit. Nicht aus Edelstahl wie ich es in so einem Hotel erwartet hätte. In der Emailleschüssel auf Omas großen Esstisch wasche ich Geschirr. Nicht in der Spüle? James Stewart ist natürlich auch da. Stochert, selbstverständlich, keine Frage, in der Asche unterm Kohleofen ’rum. Hat riesige schwarze Augenbrauen, eine dunkle Hornbrille und trägt seinen immergleichen Anzug. Er kommt zu mir beugt sich über meine Schüssel, greift sich an den Hals und reißt sich, ohne es zu merken, ein angeklebtes, nein, angewachsenens Stück vom Hals. Als es in die Schüssel fällt, weicht es sofort im warmen Wasser auf wie ein großes Stück vom Käse. Er merkt noch immer nichts.
Ich will das Ding verschwinden lassen. Fische es heraus, gehe ins ungeheizte Schlafzimmer, weil ich weiß oder vermute, dass da ein Mülleimer neben dem Nachtisch steht. Ich kann das ja nicht in den Ofen werfen, wer weiß, ob das explodiert und Jimmy mit dem ganzen Keller hier im Schlagwetter verschüttet wird.
Kein Mülleimer. Ich glitsche den Käse in den Nachtopf und es fiept unter dem Bett. Ein kleines Kätzchen, nein, eine spirreldürre Maus ist als Bild im Bettläufer verwoben. Muss ich das Mäuschen auch entsorgen? Bitte nicht. Da ist noch eine und noch eine. Sie wachen alle auf, flitzen herum zu Hunderten. Ich knall die Tür, schnell. Zu spät. Ein paar sind schon aus dem Zimmer. Das kann nicht wahr sein, ich hab den Halskäse noch immer in der Hand. Schnell ins kleine Badzimmer, spüle endlich diesen Käse weg. Ins Klo damit. Ich würge hinterher.

Jetzt aufwachen und in der Morgensonne endlich Skifahren mit der kleinen Tochter auf dem Rücken. Der Schnee glitzert, ja glitzert, die Sessellifte über uns schlagen einen coolen Rhythmus auf den Rollen der aufprallgeschützten Pfeiler. Da-da-da Da-da-da Triolen. Den Kaffeeduft vom Frühstück behalt ich in der Nase.

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