Auf der anderen Seite - Traumtexte

#Elefantenbaum

2. Februar 2022

Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen.
(Heiner Müller)

Intro und Textverzeichnis


 #19 Elefantenbaum

Ich sitze im Park an der Uferböschung. Über den See huschen Böen, kräuseln das dunkle Wasser. Leichter Nieselregen. Erfrischend auf meinem Gesicht. Lieblingswetter. Große Herbstblätter fliegen um mich herum, ich drehe mich um und suche den Baum, von dem diese Blätter kommen.
Im Umdrehen wird alles spiegelverkehrt, und ich sehe mich jetzt von meinem Sitzplatz aus am Ufer entlang gehen. Einem großen kahlen Baum entgegen. Eine Kastanie? Eine Platane?
Sehe mich den Baum umkreisen. Als mittelalter Mann, gerade nicht mehr jugendlich, gerade erwachsen, aber noch so verspielt, dass es Spaß macht aus Übermut um diesen Baum herumzurennen. Beobachte, wie ich versuche, an die unteren starken Äste zu springen, spüre die raue Rinde in der Hand, ich klettere zwei Äste hoch, springe wieder herunter.
Sprung aus den Wolken, hab ich das dort hinten gerufen, oder habe ich das hier gedacht? Eine gemeinsame Erinnerung?
Ich sehe, wie ich stehenbleibe. Mich umschaue nach mir.

Ich greife, jetzt höher, in einen der ausladenden Hauptäste in der Krone. Es ist ein sehr hoher Baum, trotzdem reiche ich an den Ast. Ich ziehe kräftig, immer kräftiger. Dann lege ich beide Arme an den Stamm, drücke, ruckele, (wie der Elefant, der mit aufgerichtetem Rüssel einen Baum umstößt) Es knackt, als würde der Baum aus seinen Wurzeln brechen, aber dann knirscht die weite Krone, kippt und dreht sich in Zeitlupe vom splitternden Stamm. Es ist nicht klar, wohin sie fallen wird.

Ich beobachte alles von oberhalb der Böschung. Weit unter mir, stehe ich in sicherer Entfernung vom Baum, gespannt und unbeteiligt und renne gleichzeitig. Es sieht so aus, als könne ich mich knapp retten. Und wirklich kracht die Baumkrone jetzt auf den Boden. Federt zweimal hoch. Ich springe hoch mit dem Federschwung des Bodens, hänge mich an einen wippenden Ast, umarme ihn und der Ast rollt sich im Gegenzug als Elefantenrüssel um meinen Brustkorb und hebt mich zärtlich hoch. Da erschrecke ich, denn von da oben sehe ich, dass ich dort unten auf der Uferböschung liege, vom Baum erschlagen, nur der eingekeilte Kopf ist zwischen zwei schweren Ästen noch zu sehen. Dabei bin mit den Ästen als warmes Bett gemütlich eingebettet unter Plumeaus, .
Unversehrt, selbstverständlich, unbeschwert. Mit den drei Worten wache ich auf.

    Leave a Reply