Heute spielt Old Neil Young mal wieder hier in der Berliner Waldbühne. Natürlich werde ich dabei sein.
Aber vorher nehme ich dieses schöne Ereignis zum Anlass, ihm bzw. einem seiner vielen Songs einen Beitrag in der Reihe Autobiographisches Schreiben zu widmen.
Neil Young hat zig, wenn nicht hunderte Songs geschrieben, die mehr oder weniger autobiographisch sind.
Der erste, der mir aber sofort in den Kopf kommt, ist natürlich Don’t be denied.
Time fades away
Der Song ist 1973 auf dem Time fades away-Album erschienen. Es ist ein Live Album, aufgenommen auf einer 90-tägigen Tour. Es ist das vielleicht rougheste Album unter allen roughen Platten, die Neil Young je rausgebracht hat. So rough, dass er es selbst the worst record I ever made genannt hat. Da muss ich ihm leider widersprechen. Ich höre die Platte schließlich schon seit gut 45 Jahren und für mich gehört sie eindeutig zu eine seiner besten vierzig Platten.
Er hat sie jedenfalls im allgemeinen CD Boom, nicht neu herausgebracht. Und wenn man den Statistiken der Hardcore Fans im Internet glauben darf, hat er die Songs auch so gut wie nie wieder performed. Angeblich hat er Don’t be denied nur noch dreimal auf Konzerten gespielt.
Die Zeit muss wirklich gerast sein
Neil Young war in kürzester Zeit (am Tempo des letzten Jahrhunderts gemessen) zum Superstar geworden. Er hatte sich von Buffalo Springfield getrennt, 1968 seine Solokarriere mit dem Album Neil Young gestartet. Ab dem Zeitpunkt war er außer bei CSN&Y nie mehr Teil einer Band. Und auch bei CSN&Y kommt und geht er, wie es ihm gerade passt. Er spielt nicht in Bands. Bands spielen mit ihm, seit er 1969 seine erste Platte mit den Radaubrüdern von Crazy Horse aufgenommen hat. 1970 dann steigt er bei Crosby, Stills und Nash ein. Zu viert touren sie die Stadien. Noch im gleichen Jahr bringt er sein großartiges Album After the Goldrush heraus, das den Weg bereitet hat für den Megaerfolg von Harvest.
Das Management schickt ihn auf die Mammuttour, um die Platte zu promoten. Bei den Proben wird deutlich, dass Danny Whitten, der Freund und Gitarrist von Crazy Horse, dermaßen den Drogen verfallen ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, Musik zu machen, geschweige denn, auf Tour zu gehen. Neil Young schickt ihn nach Hause. Ein paar Tage später ist Whitten tot. Die Tour wird ein Desaster. Das Publikum will die Songs von Harvest hören, Neil Young spielt mit brechender Stimme und verstimmter Gitarre neue Songs. Unter anderem Don’t be denied.
Don’t be denied.
Auf der Platte singt Young fünf Strophen und einen immer wiederkehrenden Refrain. In der Plattenhülle jedoch steckt ein Poster mit den Songtexten. Hier kann man lesen, dass es noch eine sechste Strophe gibt, die es aber offensichtlich nicht auf die Platte geschafft hat. Vielleicht war Neil Young am 28. März 1973 im Coliseum in Phoenix einfach zu besoffen oder stoned und hat vergessen, sie zu singen. Oder ihm sind Zweifel an der Strophe gekommen. Vielleicht fand er sie einfach überflüssig.
Ein Personal Drama
Obwohl es natürlich eine ganz andere Art von Text ist und er auf andere Art konsumiert wird, ist er in vielen Punkten nicht weit von einem autobiographischen Roman entfernt. Wie etwa dem von Isabelle Lehn, den ich im letzten Beitrag beschrieben habe. Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber beim Genre dieses Songs handelt es sich auch um ein Personal Drama. Er hat einen durchgehenden Protagonisten, der in jedem Bild, in jeder Strophe auftritt. Und diese Person hat einen großen dramatischen Entwicklungsbogen. Vom Scheidungskind, das auf dem Schulhof verprügelt wir, zum millionenschweren Rockstar.
Natürlich kommt der Song mit viel weniger Text aus als ein Roman. Er ist noch mehr zur Legendenbildung geeignet als vielleichte jede andere Textform. Viele Details sind weggelassen. Die Strophen treiben die Geschichte voran. Der Refrain verdeutlicht, worum es eigentlich geht. Schauen wir uns das im Einzelnen an.
Die Gliederung
Der Song ist einfach aufgebaut und gliedert sich in:
Strophe
Strophe
Refrain
Strophe
Refrain
(ausgelassene Strophe)/ Bridge
Strophe
Refrain
Strophe
Die ersten beiden Strophen
In den ersten beiden Strophen erfährt man, dass ein Junge mit seiner Mutter nach Winnipeg umzieht, weil der Vater die Familie verlassen hat. Die beiden Strophen bilden den Ausgangspunkt der Geschichte, zeigen die ordinary world des Jungen. In der Schule wird der Junge gedissed und liegt am Ende verprügelt auf dem Schulhof. Er ist tatsächlich am Boden. Ein typischer Anfang für ein Personal Drama, dass großen Raum für Entwicklung lässt. (Wie erinnern uns kurz an den kleinen Jungen mit der Narbe, der im Schrank unter der Treppe wohnt.)
Die beiden ersten Strophen gehören inhaltlich zusammen. Deswegen folgt erst dann der Refrain.
When I was a young boy
My mama said to me
Your daddy’s leavin’ home today
I think he’s gone to stay
We packed up all our bags
And drove out to Winnipeg
When we got to Winnipeg
I checked in to school
I wore white bucks on my feet
When I learned the golden rule
The punches came fast and hard
Lying on my back in the school yard
Kleiner Exkurs über die White Bucks.
White Bucks sind Wildlederschuhe aus weiß gefärbten Bocksleder. Oft mit roten Gummisohlen. Sie sind nicht nur auffällig, sondern kommen auch aus der Musikszene. Stilikone Sid Mashburn weiß, dass Southerners have been suckers for the white buck since the shoe’s Jazz Age inception. Sind wir mal ehrlich, dass sind schon Schuhe, die auffallen sollen, ein Statement machen. Das hat sich offensichtlich bis heute nicht geändert, denn Mashburn findet es zwar schade, dass die chicen White Bucks heute eher aus dem Straßenbild verschwunden sind, erkennt aber auch an, dass »white bucks aren’t as easy-wearing, as, say, loafers or boat shoes, that’s precisely the point. You know, you could walk into some places and guys might fight you for wearing them. But you need to be ready to fight. Take a blow for the white bucks.«
Die dritte Strophe
Nach dem ersten Refrain kommt der erste Wendepunkt. Der gedisste Junge findet einen Freund mit dem gleichen Interesse an Musik. Beide träumen davon, Stars zu werden.
Well pretty soon I met a friend
He played guitar
We used to sit on the steps at school
And dream of being stars
We started a band
We played all night
Die ausgelassene Strophe
Interessanterweise hätte der ausgelassene Text eine nachdenkliche Pause evoziert, in der der Zuhörer über den möglichen Fortgang der Geschichte reflektieren kann. Ist das nur eine kurze Flause von Schuljungen, die sich in eine andere Welt träumen. Und was müssten die Jungs tun, damit ihr Traum wahr werden kann. Soll der Junge die Schule abbrechen, Canada, seine Mutter, seinen Freund zurücklassen? Kann das wirklich der Anfang einer lebenslangen Weltkarriere sein. Naja, wir kennen die Antwort.
(Oh Canada
We played all night
I really hate to leave you now
But to stay just wouldn’t be right
Down in Hollywood
We played so good )
Statt der der ausgelassenen Strophe spielt die Band die Bridge und sorgt so auf viel subtilere Art für eine nachdenkliche Pause. Und leitet gleichzeitig den Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt ein.
Die vierte Strophe
Denn nach dem nächsten Refrain erreicht der Song den Höhepunkt. Die Manager und Musikvermarkter sind begeistert umschwänzelnd die Band. Der Erfolg ist da. Sogar das Geld stimmt.
The businessmen crowded around
They came to hear the golden sound
There we were on the Sunset Strip
Playing our songs for the highest bid
We played all night
The price was right
Die fünfte Strophe
Doch in der letzten Strophe der Wendepunkt. Es wird deutlich, dass der Ruhm und finanzielle Erfolg nicht alles ist. Der Junge ist ein millionenschwerer Star. Aber er fühlt sich wie ein schlecht verkleideter pauper. Ja, wie soll man das übersetzen? Jedenfalls wie jemand, dem noch einiges fehlt.
Well, all that glitters isn’t gold
I know you’ve heard that story told
And I’m a pauper in a naked disguise
A millionaire through a business man’s eyes
Oh friend of mine
Don‘t be denied
Der Refrain
Worum geht es also in dem Refrain? Der Text des Refrains ist immer gleich:
don’t be denied, don’t be denied, don’t be denied, don’t be denied, don’t be denied, don’t be denied
Der Refrain macht sehr deutlich, welche Storyline der Protagonist verfolgt. Es ist der Held, der nicht aufgehalten werden will, nicht aufgehalten werden kann. Das Thema: der Wunsch, seinen Platz in der Welt zu finden. Jeder Mensch ist einzigartig. Die Frage ist, wie verhält sich diese Einzigartigkeit in Beziehung zu anderen Menschen. In der Schulhofszene gibt es schon für einzigartige Schuhe Prügel. Und der Protagonist lernt seine Message. Und die ist simple as that. Don‘t be denied. Lass dich nicht aufhalten. Mach dein Ding. No matter what.
Deswegen macht es auch Sinn, dass die letzte Zeile der Strophe den Refraintext wiederholt. Denk dran, um was es eigentlich geht. Und lass dich auch nicht vom Erfolg aufhalten.
Aber auch darüber hat Neil Young noch einige andere Songs geschrieben, oder ist es am Ende doch all one song?
So, ich muss jetzt los. Mal sehen, hören, ob er was von Time fades away spielt.
Bis dann
Uwe
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