Martin Luther 2017

Martin Luther #11 Lutherstadt Wittenberg

16. März 2017
Lutherstadt

Lutherstadt dürfen sich Städte nennen, in denen Martin Luther maßgeblich gewirkt oder gelebt hat.

Die Hauptverkehrsstraße in Uwes Geburtsstadt Bochum heißt Bongardstraße. Wir haben oft Witze darüber gemacht. Ich stellte mir dann vor, die Straße hieße tatsächlich wegen mir so und so weiter. Okay, albern. Ich will nur sagen, es ist keine kleine Angelegenheit, wenn eine Straße nach dir benannt wird. Aber, hey, was ist, wenn es erst eine ganze Stadt ist?

Lutherstadt Wittenberg

Es gibt 16 Lutherstädte. Lutherstadt Wittenberg und Lutherstadt Eisleben haben den Begriff seit 1938 gleich im Namen und in Mansfeld heißt immerhin ein Ortsteil Mansfeld Lutherstadt. Die wichtigste der Lutherstädte ist wohl Wittenberg, dort, wo Luther die Thesen angeschlagen hat, wo alles begann. Wie muss man sich das vorstellen?

Wittenberg – 1536

Anfang des 16. Jahrunderts hatte die Stadt etwa 2000 Einwohner. Doch sie war schon vor Luther etwas Besonderes. 1502 ließ Friedrich der Weise hier die Universität Wittenberg einrichten, die erste Universität im Reich (dem Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Spätmittelalter bis 1806), die nicht von der Kirche gegründet wurde. Humanismus war vor Luther in Wittenberg, der 1508, drei Jahre nach Cranach, in die Stadt kam. Und Luther hat daher die Stadt wohl auch nicht zu dem gemacht, was sie heute ist, sondern vermutlich ist es genau umgekehrt gewesen. Die Stadt erlebte um 1500 einen wirtschaftlichen und intellektuellen Aufschwung: Buchdruckkunst, Aufklärung, Malerei, freie Gedanken, Diskussionen. Das zog Luther an und kurz darauf war er mittendrin, gehörte dazu, diskutierte mit. Seine 95 Thesen – man hat fast das Gefühl, sie konnten nur hier erdacht und geschrieben werden.

Eine Stadt als Gedenkstätte

Ein historisches Verständnis war im 16. Jahrhundert noch nicht selbstverständlich und erst später gab man den Ereignissen eine historische Bedeutung:  1821 wurde Luther in Wittenberg ein Denkmal gesetzt. 1830 kam die Lutherkirche dazu, 1858 eine bronzene Thesentür an der Schlosskirche. Von 1877 bis 1883 entstand im Lutherhaus ein reformationsgeschichtliches Museum. Von da an hatte sich die Stadt vollständig mit der Reformation identifiziert. Für das Lutherjahr 2017 wurde jetzt sogar die Schlosskirche saniert und teilweise umgebaut. Alles Gründe, dort einmal hinzufahren. Für mich gibt es diesen Jahr allerdings noch einen.

Das Wittenberg-Panomara von Yadegar Asisi

Schon ein Jahr vor dem Jubiläum, im Oktober 2016, hat der Architekt und Künstler Yadegar Asisi das 360 Grad Panorama Luther 1517  in der Stadt eröffnet. Panoramen sind riesige perspektivische und rundgewölbte Bilder, die man von einem Mittelpunkt aus in einer 360 Grad Ansicht betrachten kann. Eine Art altmodisches 3D Erlebnis. Oder auch ein ganz reales Erlebnis in einer Wittenbergkulisse.

Um es gleich zu sagen: Ich bin mir nicht sicher, was ich von diesem Panorama-Erlebnis halten soll. Ich denke nicht, dass es KUNST ist, wohl eher Event, wobei die Grenzen hier immer schwammiger werden. Aber mal abgesehen von dieser Frage faszinieren mich diese Arten von Events. Genauso wie Operationen oder Okduktionen.

Am offenen Herzen …

15 Meter hoch und 75 Meter lang ist das Rundbild – also riesig. Dafür wurde aufwendig recherchiert, dann naturgetreu gemalt und betrachten kann man dann alles von einem Hochstand in der Mitte. 40 Jahre Lutherleben mit Sound und Lichteffekten. Asisi nennt das Zeitverdichtung. Geht das überhaupt? Ich denke an die Hexenprozesse, die ab 1540 in Wittenberg begannen. 21 Menschen wurden bis 1674 hier hingerichtet und erst 2013 hat der Rat der Stadt sie sozialethisch rehabilitiert. Asisis zeigt das auch in seiner 40-jährigen Zeitverdichtung, aber so richtig zufrieden bin ich trotzdem nicht. Geschichte ist nie nur ein Blickpunkt, ein Zeitpunkt, eine Meinung, eine Haltung und bloß, weil man in einem 360 Grad Panorama steht, hat man das noch nicht begriffen. Ich denke an Teilchen oder Welle. Dass man Licht mal so oder nachweisen kann und es manchmal sogar beides sein kann. Was wir kaum begreifen können. Irgendwie gilt das für Geschichte auch.

Ist der Luther noch da?

Screenshot aus ARD Mediathek Beitrag

Für das Fotoshooting für das Panoramabild wurden 70 Komparsen und Laiendarsteller engagiert. Auch Schauspieler, die die Hauptrollen übernommen haben. Die Perücken sitzen schlecht, jeder der vom Film kommt, ist entsetzt, doch es geht ja nur um Fotos. Okay. Ein kleines Making-of kann man noch bis September in der ARD-Meditahek sehen und, ja, ein wenig leidet man.

„Also das haben wir sofort untereinander gesagt: Das wirkt wie echt“, sagt eine Besucherin des Panoramas. Aber „wirkt wie echt“ ist eben nicht echt, und der Abstand zu Luthers Zeit vielleicht ganz gut. Und wichtig.

Sreenshot aus ARD Beitrag

Warum will ich da trotzdem hin? Nun, während wir Luther feiern und seine Leistungen bewerten und uns gegenseitig im Panorama im Weg stehen, machen wir selbst weiter Geschichte. Wir sehen nicht nur zurück, wir sind mittendrin in unserer Zeit und gerade offenbar fasziniert davon, was alles so möglich ist: mit digitalen Werkzeugen, mit Fotos, mit Licht und Sound und Computern. Und das interessiert mich. Sehr.

Und wem das in diesem Jahr zu viel Trubel ist: Das Panorama bleibt noch 5 Jahre in Wittenberg.

  • Roland
    17. März 2017 at 10:53

    Schön geschrieben: Am offenen Herzen… Luther als Spektakel um dem Betrachter (den Massen die zu jedwedem Spektakel hinströmen) die geschichtsträchtige Bedeutung Luthers näher zubringen. Mit Sound und Lichteffekten. Und richtig: Zeitverdichtung, geht das überhaupt? Ich meine nicht. Geschichte (Kultur- Entwicklungs – Politikgeschichte etc.) findet immer statt, einst, gestern, heute und dann morgen. Wenn gewisse Voraussetzungen sich zuspitzen, neue Kräfte sich formieren um dann- nicht immer erfolgreich – eine geistige, oft auch gewaltsame Revolution hervor zurufen.

    In Luthers Zeiten waren die Vorraussetzungen die Universität Wittenberg und die Erfindung des Buchdrucks. Vergleichbar mit dem Auftauchen des digitalen Zeitalters, des ‚PC‘ seit den 80 er Jahren. Faszinierend, aber auch eine neue politische Weltlage ermöglichend – mit guten und weniger guten Entwicklungen in der Weltpolitik mit ihren Auswirkungen, siehe gescheiterter ‚Arabischer Frühling‘. Wie auch die Reformation im Anschluss unsägliches Leid, Zwiespalt, Kriege, Not und Hass zur Folge hatte. Geschichte sollte nie als Spektakel dargestellt werde, es ist ein immerwährender Prozess, der – trotz aller akademischer Geschichtsforschung – bis heute noch kein politisch anwendbares Konzept gelungen ist : Für Frieden, Gleichheit und Wohlergehen der inzwischen durch die Digitalisierung und Internet weit gehend zusammengeschweißte Weltbevölkerung. Das offene Herz blutet…

    Events sind Unterhaltung und sie lockern den Alltag auf. Wenn man in nicht jeder Veranstaltung Kunst hinein deuteln will ist das vollkommen ok. Es bietet dann Anregung, Gesprächsstoff, Zeitvertreib und auch Brot für die darstellenden Künstler.

    Wobei – nach meiner Meinung – die allerwichtigste Kunst nur die LEBENSKUNST sein kann! Inmitten und mit Hilfe aller wirklichen Künste, der klassischen, der modernen und der heutigen. Großer Vermittler ist dabei die Literatur. Und Malerei. Für das Gemüt: Musik. Solange die Künste nicht der Politik zu dienen haben, jedenfalls haben wir Hoffnung.

    Wieder sehr anregend geschrieben, wie immer. Danke Redbugx, danke dafür Katrin

    Roland

    • Katrin
      17. März 2017 at 18:17

      Danke, Roland.
      Lebenskunst … stimmt. Wir – Rebugx -denken oft darüber nach, ob das, was wir gerade miteinander machen vielleicht eine viel größere Bedeutung hat, als all die Dinge, die wir erschaffen oder die Preise, die wir dafür bekommen. Was sagst du dazu, der du ja so unheimich viel erlebt hast?

      • Roland
        18. März 2017 at 00:48

        Hi Katrin,

        ja, so ist es – da denkt ihr Redbugx schon in die richtige Richtung – denn nicht das Ergebnis führt zur Lebenskunst, sondern das Tun. Glücklicherweise hat die gesamte Familie Bongard/Carow ein geradezu überwältigendes kreatives Potential. Das ist eine beste Voraussetzung auf dem Weg zur Lebenskunst. Denn ihr gebt etwas von eurer Kunst weiter, das andere Menschen erfreut, auf Gedanken bringt, hilft. Die Preise und das Erschaffene sind schon auch Lohn, das ist auch redlich verdient, keinen Zweifel, keine Bedenken. Irgendwie wie Wegzehrung, auf dem Weg weiterzumachen, so erfreulich gut gelaunt und mit Freude an der Arbeit wie ihr euch darstellt.

        Freude an der Arbeit, Liebe zum Leben, das ist die Grundierung für das Lebenskunstwerk. Es kommt gar nicht so darauf an, was Weltbewegendes, Unerhörtes, Ungesehenes zu erschafften, sondern einen Lebensstil anzustreben der Raum lässt für persönliche Freiheiten, damit das Bild – um bei dieser Metapher zu bleiben – so mit den Lebensjahren immer farbiger, aussagekräftiger, mit geliebten und liebenden Menschen ausgefüllter wird. Theodor Fontane hat diese Kunst mal so beschrieben:

        Leicht zu leben ohne Leichtsinn,
        heiter sein ohne Ausgelassenheit,
        Mut zu haben ohne Übermut
        das ist die Kunst des Lebens.

        Ich habe nicht eure Talente, obwohl ich in meiner Jugend davon träumte, mal nebenbei, wie Joseph Conrad oder Antoine S. Exxupéry
        Schriftsteller zu werden – eben weil mir diese Menschen mit ihren Taten imponierten. Mein Schicksal war mein Glück, denn ich kam herum auf der Welt, erlebte hautnah mehr als ein Romanautor sich ausdenken kann. Und immer liebte ich meine – schicksalhaft sich vier Mal ändernde
        – und jedesmal wieder war ich voll mit dem Herzen dabei. Durchquerte Ozeane und segelte und an der Küste – und als das vorbei war, durchwanderte ich Gebirge und trieb extremen Wildwassersport in deren unberührten Schluchten. Danach änderte ich meinen Kulturkreis und lebte 2 Jahre in Griechenland unter archaisch anmutenden Bedingungen in einem kleinen Dorf ohne Strom und fließend Wasser. 10 Jahre später dann das Gegenteil: In Kalifornien, LA mit Jobs beim Film.

        Das ist mein Roman, den ich gelebt habe, noch lebe und mich heiter und gelassen macht. Das ist es, was ich meine, was wichtig ist. Diese Kunst den Fährnissen und schicksalhafte Änderungen im Lebenslauf mit Mut zu begegnen, sich nicht unterkriegen zu lassen (wie Luther), zu lieben und geliebt zu werden. Mit dem letzten Atemzug erst, wird das Bild dann vollkommen sein. Solange aber werde ich daran arbeiten.

        Liebe Grüße und weiterhin so frohes Schaffen
        Euer Leser Roland

        • Katrin
          19. März 2017 at 18:37

          Du hast mehrere Leben gelebt und in einem untergebracht – wow!
          Und jetzt will ich es wissen: Was war das für ein Job in LA/Hollywood beim Film?

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