Martin Luther 2017

Martin Luther #13 Glauben und lieben

30. März 2017

Zwei Dinge beschäftigen mich immer mehr, seit wir uns hier in diesem Lutherjahr mit unserem persönlichen Verhältnis und unseren Erfahrungen und Erlebnissen zu Glaube, Kirche und Reformation beschäftigen.

Glauben und lieben.

Diese beiden Aspekte sind, wie soll ich sagen, zwei Dimensionen, die immer wieder in der Bibel angesprochen werden, die von Luther angesprochen werden und die ich oft nicht zusammenbekomme in meiner Naivität.

  • Das eine ist der Glaube an, ja an was? An Gott, an eine Seele, the Source, ein Leben nach dem Tod, Wiedergeburt, Law of Attraction, Spiritguides, Engel, höheres Selbst, Teufel, Dämonen, Dementoren?
  • Das andere ist die Frage, wie sollen/wollen wir zusammen leben.

Ich erinnere mich jetzt, schon im Konfirmandenunterricht gelernt zu haben, dass Jesus die Zehn Gebote sozusagen auf diese beiden Aspekte zusammenschmilzt, wenn er auf die Frage der Jünger, welches das erste Gebot sei, antwortet:

„Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.

Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden“ (Mk 12, 29-31).

Also da haben wir es wieder. Liebe zu etwas Größerem, nicht Greifbarem, nicht Wissbarem, eben nur Glaubbarem. Und dann der Hinweis auf die Art, wie wir miteinander umgehen sollen. Nämlich seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Beides keine einfachen Sachen.

Zwei Beispiele

Nur ein Beispiel zu Punkt eins: Ich habe nicht mitgezählt, aber gefühlte zehn Oscargewinner haben auf der letzten Preisverleihung in ihren Dankesreden die schöne goldene Statue in die Höhe gestreckt und sich bei einem verstorbenen Verwandten bedankt, von dem sie sicher waren, dass er ihnen jetzt zusieht, dabei ist. Das ist wunderbar, aber jetzt mal im Ernst: ein Toter, der einem aus dem Himmel zusieht?

Nur zur Klarstellung: Ich glaube das! Die Frage ist nur, wieso?

Und zu Punkt zwei, lieben wie sich selbst, hallo: in Internetforen, in psychotherapeutischen Praxen, in Seminaren und Büchern östlicher Lehrer und westlicher Lifecoaches geht es ständig um die Frage, wie man es denn nun endlich schaffen kann, sich selbst zu akzeptieren, geschweige denn zu lieben. Und dann noch seinen Nächsten lieben …

Die gleichen beiden Punkte wieder bei Luther in seiner Reformationsschrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«:

Ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und seinem Nächsten – in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.

Heißt das heute:

Ein Mensch lebt nicht isoliert, durch eigene Kraft, sondern durch und aufgehoben in einer größeren Macht – die größere Macht können wir nicht erkennen, sondern nur daran glauben. Und durch und aufgehoben im liebevollem Umgang untereinander?

Wie wollen wir leben?

Der erste Punkt scheint mir wesentlich komplizierter. Der zweite Punkt ist greifbarer und hat vielleicht vordergründig mehr Einfluss auf unser irdisches Dasein. Manche würden sagen, auf die momentane Manifestation unseres höheren Selbst.

Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass sich auch die aktuelle Diskussion um Luther und die Reformation, die durch sein Auftreten angestoßen wurde, meist eher auf den zweiten Punkt konzentriert. Sich mehr mit den ethischen und sozialen Prämissen und Folgen der Reformation beschäftigt. Und das werde ich jetzt auch hier tun.

Der Frage Was glaube ich eigentlich, werde ich dann wohl in einem späteren Beitrag nachgehen müssen.

Der Bruch mit dem kanonischen Recht

Welche Auswirkungen auf unser Zusammenleben hatten Luther und die Reformationsbewegung? Natürlich ist die Art, wie wir miteinander leben, nicht auf ein paar wenige historische Ereignisse zurückzuführen, aber Luther hat schon einiges aufgebrochen.

Im letzten Jahr habe ich mich auf einer privaten Feier länger mit Thomas Kaufmann unterhalten. In einem Interview zu seinem neuen Buch »Erlöste und Verdammte« hat der Göttinger Kirchenhistoriker es so ausgedrückt:

Durch die Differenzierung des lateineuropäischen Christentums, durch den Bruch mit einem – wenn man so will – absolutistisch geltenden rechtlichen Regelwerk, dem kanonischen Recht, eine faktische Pluralisierung der Religionskultur einsetzte, die eine Fülle an weiteren Entwicklungen ermöglicht und dynamisiert hat.

In dem Moment also, wo jemand sich gegen eine als unsinnig erkannte Tradition stellt, werden ganz neue Perspektiven eröffnet. Hier heißt das konkret, nicht mehr die Kirche bestimmt wie und was geglaubt werden soll/muss. Nicht die Kirche legt fest welche Verhaltensweisen notwendig sind, um als Gläubiger zu gelten. Sondern genau umgekehrt. Jeder einzelne Mensch kann sein eigenes Verhältnis zum Glauben oder Nicht-Glauben erforschen und leben. Und im Dialog dieser einzelnen Menschen könnte sich dann eine neue lebendige Gemeinde bilden, die durch jeden einzelnen Aspekt, den ein Mensch einbringt, sich verändert und entwickelt.

Ich will mir nicht anmaßen, zu interpretieren, was Luther wirklich gemeint, geglaubt und gewollt hat. Ich freue, mich dass sich einige so ausführlich mit ihm auf kritisch historische Art beschäftigen, dass ein Wind davon zu spüren ist.

Mut

Luther hat darauf gepocht und in Worms mit seiner berühmt gewordenen Hier-stehe-ich,-ich-kann-nicht-anders-Haltung, deutlich gemacht, dass eine innere Überzeugung wichtiger ist, als das von der Kirche geforderte korrekte Verhalten. Auf dem Reichstag in Worms stand sein Leben auf dem Spiel und er ist nicht ausgewichen. Das ist in meinen Augen der vielleicht noch wichtigere Part im gesamten Reformationsgeschehen als die Veröffentlichung der Thesen. Einen Unmut äußern und eine Diskussion anschieben, okay. Aber zu seinen Behauptungen unter Lebensgefahr zu stehen? Ist schon was anderes.

Wir lieben diese Helden, die Rebellen, die Outlaws. Wir lieben die, die sich gegen die verkrusteten herrschenden Verhältnisse stellen. Im Film. Wir bewundern die Einzelnen, die sich mutig gegen eine offensichtliche Ungerechtigkeit stellen. Aber wer von uns würde sich schon auf den Platz des himmlischen Friedens stellen? Allein gegen die Panzer?

Ein rebellischer Geist

Ich denke, das ist auch nicht unbedingt nötig. Es muss nicht immer gleich so spektakulär oder lebensbedrohlich sein.

Auch Worms war nicht das erste Mal, dass Luther der Forderung nach korrektem Verhalten widerstanden hat. Er hat sich mit der Entscheidung, ins Kloster zu gehen, schon seinem Vater widersetzt und den Bruch mit der Familie riskiert. Wie umgekehrt später Katharina von Bora, sich mit ihrer Familie überworfen hat, als sie aus dem Kloster geflohen ist. Eine Entscheidung, die wir jetzt alle so selbstverständlich und bewundernswert finden. Was ist mit dem Verhältnis zu unseren eigenen Eltern unseren eigenen Kindern?

Ich halte diesen Aspekt für sehr wichtig. Luther hat schon zu Hause rebelliert, sich eingefahrenen Regeln, vorgezeichneten Wegen widersetzt. Er hat gelitten unter den Erwartungen, die er nicht erfüllen wollte. Und er hat genauso darunter gelitten, sie nicht zu erfüllen. Er hat sogar einen Blitzschlag gebraucht, der ihm als Argumentationshilfe diente. Die Angst nicht seinen inneren Bedürfnissen gefolgt zu sei, sondern nur blind den äußeren Erwartungen zu folgen, war ab da größer als seine Angst zu rebellieren. Aus dieser Haltung, hat er die Vorstellung entwickelt, dass jeder einzelne seiner inneren Überzeugung folgen muss, sein Verhältnis zu Gott klären kann, dass es da einen unmittelbaren Dialog gibt.

Meiner Meinung nach hat er diese Haltung nicht in der Bibel gefunden und dann übernommen, sondern umgekehrt er hat Belege, Rechtfertigungen für diese Haltung in der Bibel gesucht und gefunden. In der Bibel, weil es in der Zeit die einzige alternative Autorität zur Institution Kirche war.

Und heute?

Die inneren Bedürfnisse und Überzeugungen ernst zu nehmen und im Dialog mit anderen zu einer neuen Gemeinschaft zu führen, wäre eine ungeheure Leistung. Luther hat sie zeitgebunden natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad vollziehen können.

Eingefahrene Vorstellungen, Traditionen, Machtverhältnisse und scheinbare Notwendigkeiten spielen immer noch eine große Rolle. Aus einem ich will, ich möchte, ich brauche wird oft viel zu schnell ein du musst. Dialog fordert eben oft viel mehr Zeit, Aufmerksamkeit, Selbstreflexion, einen rebellischen Geist und Mut. Es kann auf beiden Seiten zu existentieller Verunsicherung führen, wenn man liebgewonnene, scheinbar funktionierende Pfade verlässt. Auch schon in den ganz kleinen Institutionen, Ehe, Partnerschaft, Familie, Schule …

Da liegt noch viel Reformationspotential.

Beitragsbild mit zwei Bronzen ›Adam_2‹ und ›Adam_3‹ von mir.

  • Roland
    31. März 2017 at 10:23

    Hi Uwe
    es ist schön, wie Du aus der Betrachtung des Lutherjahres, des mutigen Mannes Luthers und der Reformation diesen Punkt LIEBE sehr gut herausfilterst! Und zugleich Zweifel äußerst, was denn nun Liebe eigentlich sei, da ja die Psychotherapie, Soziatheoretiker, Bücher, Seminaren überquellen von Ratsuchenden, Ratgebern – auch Scharlatanen. So wie Du wunderbar die Quelle – die Bibel – nennst, die diesen Begriff Liebe unter die Menschen gebracht hat. Wo vielleicht, wie ich nur vermuten kann, in vorchristlichen (vor-religiösen?) Zeiten unter den Menschen der Begriff Fürsorge, Schutz der Nächsten,der Sippe in den Hirnen und Herzen der Damaligen in Umlauf war.
    Nun war Liebe etwas Göttliches – mehr Befohlenes als Empfohlenes geworden. Damit wurde aber auch eine große Anforderung an die nun zum Glauben gezwungenen Menschen gestellt, der sie nicht immer gerecht werden konnten. Und heute noch nicht können. Denn um liebesfähig zu sein bedarf es erst einmal großer Selbstanstrengung. Man/frau muss die Welt, wie sie gerade ist, das Leben mit seinen gewaltigen Herausforderungen und dann noch sich selbst lieben zu LERNEN. Ja, das ist meine Meinung. Die Liebe fliegt einem nicht als göttliches Geschenk zu, man lernt sie mühsam, erst von der Mutter, dann vom Vater und der Familie. Leider nicht immer, auch das ist wahr. Wenn man Glück hat und kommunikativ veranlagt ist auch von Freundschaften. Erst dann, wenn man mehr oder weniger mit den Verhältnissen im Reinen ist, dann kann man auch sich selber und damit den Nächsten lieben. Manchmal dauert dieser Lernprozess auch länger, manchmal gibt es ‚Lernschwierigkeiten‘ und dann sollte man auch die angebotenen Hilfen in Anspruch nehmen -so etwa wie in schwächeren Schulfächern auch Nachhilfe weiterhelfen kann.
    Ganz richtig, Uwe, ein Held muss niemand sein, das ist was für bestimmte Filmgenre oder heroisierende Politiker-Reden. Aufrichtig und mutig, wie Luther, gegen Fehlentwicklungen und Mißstände in dem uns betreffenden sozialen und politischem Umfeld seine Meinung zu vertreten. Das wäre schon viel! Nicht gleich die ganze, gesamte Welt umkrempeln wollen, sondern nach der Reihenfolge handeln: Charity begins at home.
    Und nicht vergessen: Das Leben ist schön. Wir haben nur eines und wir können es daraus machen.

    Danke Uwe, wieder ein sehr anregender Beitrag!
    Liebe Grüße
    Rolandes

  • Uwe
    31. März 2017 at 12:36

    Lieber Roland, danke für den ausführlichen Kommentar.
    „Wenn man Glück hat und kommunikativ veranlagt ist“ ist eine gute Beobachtung. Dialog, das wollte ich in dem Beitrag ausdrücken, ist in meinen Augen sehr wichtig, um sich selbst zu finden. Und das fliegt einem leider auch nicht unbedingt einfach zu. Auch das kann man, muss man von Eltern, Geschwistern, Freunden lernen. Dazu gehört wieder eine große Aufmerksamkeit von allen Seiten. Es ist ähnlich wie mit der Liebe, es kann eine typische Abwärtsspirale sein. Wie soll ich Liebe von jemandem lernen, der sich auch nicht selbst liebt, weil er sie nicht erfahren hat … (Und ich meine hier natürlich nicht die oft anzutreffenden egozentrische Form) Aber es kann auch eine wunderbare Aufwärtsspirale sein, wenn man entschlossen ist, aufmerksam zu sein und jeder von jedem lernt. Dann ist der Spruch, von seinen Kindern oder seinen Schülern zu lernen, plötzlich keine hohle Phrase mehr, sondern eine grandiose Realität.

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