Luther und Einsamkeit – Beziehungslosigkeit ist auch keine Lösung
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Von der Freiheit eines Christenmenschen
Martin Luther, 1520
Luther und Einsamkeit
Ein junger Martin ist ins Kloster eingetreten. Ohne die Erlaubnis seines Vaters, ohne das Gutheißen seiner Familie. Wie Kinder das elterliche Haus verlassen, um ein eigenes Leben zu begründen, verlässt auch Martin den elterlichen Schutz. Nur liegt der Grund dafür nicht etwa in einer Heirat mit einem anderen Menschen, sondern in der Heirat mit dem Glauben. Martin will Mönch werden. Er verlässt also seine Heimat, um sich der Beziehung zu stellen, die er zum Glauben hat. Das ausdrückliche Missfallen seines Vaters dieser Entscheidung gegenüber macht ihn zu einem Flüchtigen. Und einem Sünder.
Die erste Entscheidung seines Lebens, die Martin trifft, allein aus der Verantwortung sich selbst gegenüber, ist sein erster Verstoß gegen das Gebot des Vaters.
Aus der Glaubensgemeinschaft Familie halb geflohen, halb verstoßen, findet er sich verstört und ängstlich im Kloster wieder. Mit einer brennenden Frage: Wie bekomme ich einen gerechten Gott. Er will Buße tun, fühlt sich ungenügend und unfähig, das aus reiner Liebe zu tun. Seine Angst macht ihn zum Zweifler. Warum kann ich nicht, ohne Angst zu haben, Buße tun?
Was diese Frage in Martin ausgelöst haben muss, ist gleichzusetzen mit der vehementen Kraft seiner späteren Überzeugungen. Wenn ich nicht Buße tun kann, bleibt mir Vergebung für immer verwehrt. Die hohle Beichte macht mich nur mehr und mehr zum Sünder, ohne Hoffnung auf Gnade, ohne die Aussicht auf Vergebung. Ein Gläubiger, ohne Aussicht auf Gnade und ein Sohn, ohne Aussicht auf Vergebung, ist ein Namenloser, Vogelfreier, Einsamer. Seine einzige Hoffnung auf Erlösung liegt in der Beantwortung seiner Frage. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott.
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Liebe deinen Nächsten wie dich selbst
Ich weiß nicht viel über Johann von Staupitz, den Vikar des Klosters und vermeintlichen Mentor Luthers, aber er scheint mir einen recht pragmatischen Ansatz gehabt zu haben. Denn er entscheidet, Martin zu versetzen. Nach Wittenberg. Zum Studium der Theologie.
Ein Mönch mit Fragen, die kein Mitbruder ihm beantworten kann, scheint ein guter Kandidat für die Auseinandersetzung mit Theologie. Ein einsamer junger Mann, ein noch besserer Kandidat für ein Studium. Johann muss erkannt haben – die Ausweglosigkeit von Martins Einsamkeit ist nicht in der nüchternen Isolation eines Klosters zu heilen. Beziehungslosigkeit keine Alternative für den jungen Luther. Er schickt ihn unter Menschen, an einen Ort des Austauschs und der Kommunikation. Er schickt ihn dorthin, wo Zweifel zur Tugend werden kann und Menschen zusammenkommen, um gemeinsam Antworten auf Fragen zu bekommen.
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Die zweite Entscheidung, die Martins Leben für immer verändert, trifft ein Anderer für ihn. Mit seinem besten Interesse im Sinn. Was dieser Entschluss für Luther den Schüler bedeutet hat, wissen wir. Was er für Martin, den Sohn bedeutet haben muss, können wir nur ahnen.
Johann hat ihm ein Vertrauen geschenkt, dass er sich selbst nicht geben konnte. Während seine eigene Entscheidung, die Trennung vom Elternhaus, tiefe Verzweiflung und ein nicht enden wollendes Hinterfragen seiner eigenen Tugend mit sich brachte, muss Johanns Interesse an Martins Entwicklung in ihm ein Selbstbewusstsein entfacht haben, das nicht nur seinen Ehrgeiz angestachelt, sondern mit Sicherheit auch seine Fähigkeit zur Selbstliebe geschult hat.
Kein Wunder, dass er sich, an der Universität angekommen, mit der Verlorenheit des Einzelnes beschäftigt. Und mit der einzigen Lösung, die er dafür finden kann: der Gnade Gottes. Er strebt einer Zugehörigkeit entgegen, die nur aus dem Glauben an einen gnädigen Gott entstehen kann. Und stößt auf Widerstand. Die dritte Entscheidung trifft er, obwohl es ihm und seinen Nächsten schadet.
Freiheit und Verantwortung
Religion und Glauben sind schon deshalb schwierige Dinge, weil sie fast ausschließlich das empfindliche Gleichgewicht von Freiheit und Verantwortung des Einzelnen angehen.
„Aus dem allen folgt der Satz, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten – in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.“ Von der Freiheit eines Christenmenschen
Hier steht er nun vor dem immer währenden Dilemma. Tut er was richtig für sich selbst ist, so schadet er anderen, tut er was er im Sinne der anderen tut, schadet er sich selbst. Wie also soll der Mensch sich verhalten? Es gibt keinen anderenA usweg als den Glauben. Das ist Martins einzige Überzeugung in einer Welt der Widersprüche. Wie also soll der Mensch glauben?
Das definiert er in seinem Text Von der Freiheit eines Christenmenschen und trennt den Mensch in den inneren, geistigen Menschen und den äußeren, körperlichen Menschen. Der innere Mensch glaubt, der äußere Mensch handelt. Luther setzt an dem Punkt an, an dem es ihm am sinnvollsten erscheint. Beim Einzelnen.
Sich selbst gegenüber, seinem Wohl und Heil zu Gute, muss der Einzelne glauben. Der geistige Mensch gibt die Richtung an, in die der körperliche Mensch handeln soll. Das eine kann sich ohne das andere nicht frei entfalten. Der Genuss, den er im Glauben wähnt, kann nur durch tugendhaftes Handeln erlebt, die Freiheit die das rechte Tun verspricht, nur durch den Glauben erreicht werden. Nicht zu glauben, macht den Menschen einsam. Richtig zu glauben, macht ihn doppelt zugehörig; zu Gott und den Menschen.
Der Streit der durch diesen Fokus auf den Einzelnen entfacht wird, führt zum erneuten Ausstoß Luthers. Doch diesmal ist es anders. Voller Tatendrang und von einem inneren Feuer getrieben, zieht er sich auf die Wartburg zurück und übersetzt die Bibel in elf Wochen.
Zurück in der Zelle
Im Kloster in Erfurt war Martin allein. Zwischen den Welten gefangen, kein Zugehöriger und auch kein eigener Mensch. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Mittlerweile ist Martin sich sicher, das kann keine Frage sein, die nur ich mir stelle. Er ist vollends bereit, sich der Verantwortung zu stellen, die er seinen Nächsten gegenüber hat. In der Hoffnung, dadurch die Freiheit zu wertschätzen, die ihm sein Glauben gibt. Er übersetzt in eine Sprache, die die Meisten lesen können und ermöglicht einen Glauben, der auf eigene Verantwortung gestützt ist. Wer den Inhalt selbst liest, ist am Zug, ihn zu selbst zu deuten.
Die vierte Im Sinne der Gemeinschaft.
.Doch außerhalb der Wartburg sieht das Leben anders aus. In Wittenberg tobt der Streit. Luther muss die ihm lieb gewordene Isolation verlassen und kehrt nach Wittenberg zurück. Er weiß; die Qual des Einzelnen kann oft dem Wohlergehen der Gemeinschaft schaden. So predigt er Mäßigung, fordert die Besinnung auf die Liebe. Und gibt Am 9. Oktober 1524 seine Lebensform als Mönch auf. Die Stadt beruhigt sich. Und Luther, verliebt sich.
„Sieh, das ist die Natur der Liebe, wenn sie wahrhaftig ist! Sie ist aber dort wahrhaftig, wo der
Glaube wahrhaftig ist. Darum schreibt der heilige Apostel dies der Liebe zu, dass sie nicht
das Ihre sucht, sondern das, was des Nächsten ist.“ Von der Freiheit eines Christenmenschen
Und die fünfte aus Liebe.
Am 27. Juni 1525 heiratet er Katharina von Bora.
5 Comments
Roland
9. Februar 2017 at 17:29Hallo Isabel,
bei euch im Verlag brennt ja zur Zeit geradezu ein Feuerwerk an geistreichen Ideen, an hilfreichen Schreibtipps, und an furiosem Content Marketing für das in Kürze erscheinenden Buches ‘Love on Paper’! Da ist es zur geistigen Verschnaufung doch ganz gut, dass darüber das Thema Luther nicht untergeht. Im Gegenteil, es bildet den notwendigen Kontrast zur schönen Leichtigkeit der freudigen Erwartung.
Ich finde immer wieder Bezugspunkte in euren (sehr löblichen) Darstellungen der Geschichte dieses außergewöhnlichen Mannes, immer schön (wie Katrin anfangs bemerkte) aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Hier: Einsamkeit als Katalysator zur Erneuerung.
Ebenfalls mir passiert, als ich mich vor vielen Jahren mal zu einem ‘alternativen’ Leben in ein kleines Dorf , (auf der Peloponnes) zurückzog. Kein fließendes Wasser, kein Strom. Eine paar Ziegenhirten, wenige alte Leute. Abseits von Zivilisation und Kultur, nur zu Fuß , mit Esel oder Maultier zu erreichen, die nächste Kleinstadt 3 Std. Fußmarsch entfernt, der nächste Zeitungs- und Bücherladen von da aus 3 Std. mit dem Auto. Ich wollte aus meinem chaotischen Leben mal zur Ruhe kommen, mich besinnen, Ordnung in mein Leben bringen. Auf mich selbst zurückgeworfen und abgeschnitten von Kommunikation (mein rudimentäres Griechisch reichte für den Alltag, aber zu nicht mehr). Ein Buch, ein Gedichtband von Odysseas Elytis war mein Tröster. Daraus möchte eine winzige Zeile zitieren:
“…. dass die Einsamkeit, in der Brust des Mannes
unerträglich geworden,
berstend Sterne streute! ”
Da wußte ich plötzlich, was ich wollte und kehrte zurück in die Zivilisation, die mir vorher so unerträglich erschienen war. Streichelte den Lichtschalter, den Knopf der Zentralheizung, stürzte mich geläutert und mit neuer Energie zurück in meine Arbeit im Personalwesen. Nun gut, das ist nicht mit der Leistung Luthers vergleichbar. Seine ‘Sterne, die er streute’ waren für Europa bedeutungsvoll. Meine, nur für mich und meine Nächsten.
Durch die Beschäftigung mit Luther’s Zweifeln, seinen Enttäuschungen, seine Einsamkeit wird einem sein eigenes (Er)Leben bewußter.
Danke Isabel. Ich hoffe ihr führt diese Reihe fort.
Liebe Grüße
Roland
Redbug Team
10. Februar 2017 at 13:23Wow, was für ein Leben, Roland!
Es ist unglaublich toll, wie viel Du hier teilst.
Sitmmt, gerade ist es fast stürmisch hier auf dem Blog, aber gerade dann muss man ja etwas zur Ruhe kommen. Zwischendurch. Liebe Grüße – die Redbugx :))
Isabel
11. Februar 2017 at 16:13Hi Roland!
Es macht solchen Spaß, deine Kommentare zu lesen! Vielen vielen Dank wie immer, für deine spannenden Gedanken und persönlichen Erzählungen. Die Zeilen aus dem Gedichtband sind eine wunderschöne Ergänzung! Es ist so cool, zu lesen, was du zum Thema denkst und es freut mich sehr, dass meine Auseinandersetzungen mit Luther interessant für dich sind. Allein für diesen wertvollen Austausch würde ich die Reihe weiterführen! :)
Besonders begeistert bin ich davon, wie konzentriert du auf den Punkt bringst, was ich versucht habe zu beschreiben : Einsamkeit als Katalysator zur Erneuerung. Bäm. Besser gehts nicht.
Viele Grüße!
Isabel
Ulrike Grabemeyer
19. Juni 2017 at 10:04Hallo Isabel. Ein wunderschöner klarer und schlüssiger Text. Ich begreife.
Isabel
19. Juni 2017 at 10:37Danke, Ulrike! Das freut mich. :)