“Kleiner Vogel Glück” von Martin Mandler
Mit »Kleiner Vogel Glück« hat Martin Mandler ein wunderbares, mutiges, ruhiges Buch geschrieben.
Es spielt zu großen Teilen an der Dolomiten Front im Ersten Weltkrieg. Ein Buch über den ersten Weltkrieg, in dem nur ein einziger Schuss fällt. Konzentriert auf wenige Stunden, in denen uns ein souveräner Erzähler an den Überlegungen des Tiroler Bergbauernsohn Hans teilhaben lässt. Der als Soldat in seinem Unterstand weit oben irgendwo in einer verschneiten Bergflanke liegt und über die Absurdität des Krieges sinniert.
Dabei steigert sich die Spannung beinahe unmerklich, weil Hans einen immer größeren Drang verspürt, an diesem schönen, ruhigen Tag, einmal aus dem Unterstand hinauszutreten und sich auf das weite Schneefeld in die Sonne zu legen. Vielleicht sogar bis zum Kamm aufzusteigen, um noch einmal ins Tal zu schauen, wohl wissend, dass er dabei sehr wahrscheinlich ins Sicht- und Schussfeld der Italiener geraten würde.
Der »Italiener«, die vielleicht im Nachbardorf aufgewachsen sind. Deren Bewohnern er sich nicht nur näher fühlt, als den »großkopferten Generälen«, »die nicht lange fackeln, wenn ein Befehl zu unterschreiben ist, der Zehntausende in den Tod schickt«, sondern mit denen ihn auch viel mehr verbindet als mit den Kameraden, die von irgendwoher, vielleicht aus Düsseldorf oder sonstwo in die Berge abkommandiert sind und jetzt neben ihm hoch oben im Gebirge im Schützengraben liegen.
Struktur der Erzählung
In die Haupterzählung sind neun zum Teil skurrile Geschichten eingestreut, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten, an ganz verschiedenen Orten spielen. Nur zwei, wie sich spät herausstellt, sind eine Art Rahmenhandlung zur Hauptgeschichte. Wie kann das funktionieren? Eine sich so ruhig entwickelte Geschichte wie die von Hans in seinem Vorposten, weit außen im Grabe, immer wieder zu unterbrechen? Den Leser hinauszuwerfen aus Hans’ Gedanken vor seinem in der Sonne leuchtenden Schneefeld in ganz andere Settings? Nach Brasilien 2016, auf einen Kirchturm ungefähr im Jahr 2000, zu einem Kiffer 1997, einem Hobbyfotografen 2014 …
Damit es funktioniert, hat Martin Mandler eine souveräne Erzählerstimme erfunden, die uns Leser:innen, wie eine alte Bekannte direkt anspricht. Die mit Ironie und gleichzeitig großem Ernst, mit Distanz und dennoch empathischer Nähe von Menschen erzählt. Und die beharrlich, manchmal ohne es zu merken, ein Ziel verfolgen und dabei hin und wieder vom Kleinen Vogel Glück aufgesucht werden.
Fazit
Unbedingte Leseempfehlung für alle, die gerne intensive und sprachlich gekonnte Texte lesen.
“Kleiner Vogel Glück”
- Elsinor Verlag
- ISBN 978-3-942788-77-9
- 188 Seiten
- Klappenbroschur
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